Mitgestaltung durch die Beschäftigten: ein Erfolgsfaktor der Digitalisierung: Über zehn Jahre ist es mittlerweile her, dass auf der Hannover Messe unter der Überschrift „Industrie 4.0“ eine Phase beschleunigten technologischen Wandels eingeläutet wurde. Digitalisierung lautet die Formel, mit der seit einigen Jahren in Betrieben, Verwaltungen und Büros neue Technologien, Geschäftsmodelle und Arbeitsabläufe vorangetrieben werden. Immer deutlicher ist dabei auch geworden, wie vielgestaltig Digitalisierungsprozesse in der Arbeitswelt sind. Das Soziologische Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) hat in unterschiedlichen Branchen und Tätigkeitsfeldern untersucht, welche Digitalisierungspfade Betriebe beschreiten und welche Herausforderungen sich dabei in den Bereichen Arbeit und Organisation stellen. Ein wesentliches Fazit: Die aktive Einbeziehung der Beschäftigten ist eine zentrale Einflussgröße für den Erfolg der Digitalisierung. Das SOFI Göttingen ist als Experte für das Thema Arbeit 4.0 im Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Hannover aktiv und bringt dort sein Know-how in Form von Expertenschulungen und Expertendialogen ein.
Digitalisierung ist vielgestaltig
Den Betrieben steht mittlerweile eine breite Palette von Digitalisierungslösungen zur Verfügung. Mitunter geht es dabei vor allem um neuartige Hardware wie Leichtbauroboter, 3D-Druck, AR/VR-Brillen oder Self-Checkout-Kassen. In anderen Fällen – z.B. bei MES-Konzepten, Digitalen Zwillingen, Digitalen Akten oder auch Krankenhausinformationssystemen – bedeutet Digitalisierung vor allem neue Softwarelösungen. Punktuelle, an einzelnen Tätigkeiten ansetzende Digitalisierungskonzepte stehen neben systemischen Gestaltungsansätzen, in denen komplette Abläufe reorganisiert werden. Zugleich verschwimmt die Trennung zwischen hardware- und softwaregetriebenen Ansätzen. Bei der Reorganisation von Abläufen entstehen komplexe sozio-technische Systeme bis hin zu betriebsübergreifenden Ökosystemen.
Ähnliche Zielsetzungen aber unterschiedliche Ausprägungen
Im Branchenvergleich finden sich unterschiedliche Formen der Digitalisierung, obwohl sich die verfolgten Ziele meist ähneln. Automatisierung, Flexibilisierung und Beschleunigung von Abläufen spielen generell eine wichtige Rolle, aber auch höhere Prozesssicherheit, Transparenz und Nachverfolgbarkeit. Neue Funktionalitäten von Produkten und zusätzliche Dienstleistungsangebote sind weitere wichtige Ansatzpunkte. Die Ausprägungen der Digitalisierung sind bei Banken und Versicherungen, im Einzelhandel, Krankenhaus oder bei Verwaltungstätigkeiten sowie in Produktionsbetrieben allerdings unterschiedlich. Selbst in Produktionsbetrieben lassen sich deutliche Unterschiede in den Technikeinsatzkonzepten und Anforderungen der Digitalisierung beobachten: beispielweise zwischen Maschinenbau- und Chemiebetrieben, der Nahrungsmittel- und der Automobilindustrie.
Arbeitswirkungen und Gestaltungsanforderungen: Was ist aufgefallen?
Betriebe und Verwaltungen haben sich schon seit einigen Jahren auf den Weg einer stärkeren Digitalisierung von Abläufen und Arbeitsprozessen gemacht, nur wenige zögern noch. In einer Vielzahl von Fallstudien hat das SOFI in unterschiedlichen Branchen und Tätigkeitsfeldern untersucht, welche Digitalisierungspfade Betriebe beschreiten, inwieweit die mit der Digitalisierung verknüpften wirtschaftlichen, technisch-sachlichen und arbeitsbezogenen Ziele erreicht wurden sowie welche Arbeitswirkungen, Gestaltungsspielräume und –anforderungen hiermit verbunden sind. Einige Befunde sind besonders bemerkenswert:
Einseitige Priorisierungen
(1) Nicht immer haben Betriebe in ihren Gestaltungsüberlegungen die gesamte Bandbreite möglicher Ansatzpunkte der Digitalisierung vor Augen. Häufig priorisieren sie einseitig bestimmte Aspekte der Digitalisierung wie z.B. Automatisierung.
(2) Erhebliche Unterschiede gibt es zudem bei Vorgehensweisen der Konzipierung und Realisierung von Digitalisierungsprojekten. So ist insbesondere der Einfluss von Bereichsleitungen und operativen Führungskräften gegenüber zentralen Stabsbereichen, Technikanbietern und externen Dienstleistern sehr unterschiedlich. Bei der Planung und Implementierung von Digitalisierungsvorhaben spielen prozessferne Akteure häufig eine besonders große Rolle. Management und Vorgesetzte vor Ort beklagen nicht selten zu geringe Einflussmöglichkeiten.
Zu wenig einbezogen: HR-Bereiche und Beschäftigte
(3) Sofern Betriebe überhaupt über eigenständige, handlungsfähige Personalabteilungen verfügen, sind diese in die Entwicklung und Ausgestaltung von digitalisierten Arbeitsprozessen nur wenig oder spät eingebunden. Mitunter sogar erst dann, wenn die neuen Systeme in Betrieb genommen werden – und auch nur in den Fällen, in denen Qualifizierungs- oder Neurekrutierungsprozesse notwendig sind. Die Einflussmöglichkeiten der HR-Bereiche auf die Ausgestaltung digitalisierter Arbeitsabläufe sind meist noch geringer als die der Vorgesetzten in den betroffenen Fachbereichen.
(4) Digitalisierung geht mit digitalisierten Arbeitsmitteln und Arbeitsabläufe einher. Arbeitsformen und Arbeitsanforderungen verändern sich. In vielen Fallstudien findet sich eine beachtliche Kritik des Managements, von Vorgesetzten und Beschäftigten, dass sich die Wirtschaftlichkeits- und Funktionalitätserwartungen an digitalisierte Abläufe und Prozesse unter Realbedingungen nur teilweise erfüllen. Insbesondere die Mitwirkung und die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer, d. h. der Beschäftigten selbst, erweisen sich meist als eine zentrale Einflussgröße auch für den wirtschaftlichen Erfolg von Digitalisierungsprozessen.
Wirtschaftlicher Erfolg und Arbeitsverbesserungen durch Mitgestaltungsmöglichkeiten
(5) Auch die Arbeitswirkungen der Digitalisierung bis hin zur arbeitsbezogenen Gesundheit hängen in erheblichem Maße von den Mitgestaltungsmöglichkeiten der Beschäftigten ab.
Die Interviews und Befragungsdaten des SOFI zeigen, dass nicht die in den Medien oft beschworene Furcht vor einem Arbeitsplatzverlust oder die permanente Überwachung („gläserne Mitarbeiter“) im Vordergrund stehen und die von den Beschäftigten am häufigsten und stärksten erlebten Negativeffekte der Digitalisierung sind. Betont werden vielmehr Technikmängel, die zu Behinderungen und Zusatzaufwänden führen, nicht eingelöste Effektivitätsversprechen und ein unzureichender Nutzen bei der Bewältigung von steigenden Arbeits- und Leistungsanforderungen. Beschäftigte, die über hohe Mitgestaltungsmöglichkeiten verfügen, beurteilen allerdings ihre arbeitsbezogene Gesundheit, die Arbeitswirkungen der Digitalisierung sowie die Im Betrieb erfahrene Anerkennung und Wertschätzung sehr viel positiver.
Fazit
Good Practice-Beispiele aus den Fallstudien des SOFI zeigen, dass sich Implementierungs- und Nutzungsdefizite der Digitalisierung durch eine aktive und systematische Mitwirkung von Beschäftigten und prozessnahen Vorgesetzten bei der Ausgestaltung, betrieblichen Umsetzung und kontinuierlichen Weiterentwicklung neuer Technologien und digitalisierter Arbeitsabläufe vermeiden lassen.
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